Newsletter – Februar 2024
26. Februar 2024Newsletter - Januar 2024
Liebe Leserin, lieber Leser,
fühlen Sie sich morgens frisch und ausgeruht? Oder sind Sie schon k.o., ehe der Tag richtig losgeht?
Guter Schlaf ist das Fundament von Gesundheit, Erfolg und Lebensfreude. Wer nicht gut und ausreichend schläft, ist gereizt, unkonzentriert oder traurig. Oder gar alles gleichzeitig. Und doch hat die durchschnittliche Schlafdauer in den letzten Jahrzehnten weltweit merklich abgenommen, wie der renommierte Schlafforscher und Bestsellerautor Matthew Walker in seinem Werk „Das große Buch vom Schlaf“ sagt. Woran liegt es, dass wir unseren Schlaf mehr und mehr vernachlässigen?
In dieser und den folgenden beiden Ausgaben dieses Newsletters wollen wir uns mit dem Schlaf als Schwerpunktthema beschäftigen. Wir wollen untersuchen, wie Schlaf funktioniert und welche Auswirkungen er hat. Aber vor allem wollen wir natürlich eines tun: Wir wollen klären, was man tun kann, um wieder besser zu schlafen. Dazu müssen wir uns mit dem Sonnenlicht, Ihrer Matratze und Ihren abendlichen Netflixgewohnheiten auseinandersetzen. Wir müssen nachsehen, zu welchen Zeiten Sie was essen, wir müssen den Koffeingehalt in ihrem Blut bestimmen und vieles mehr. Es gibt also so einiges zu tun. Sind Sie bereit?
Unserer Philosophie entsprechend werden wir uns wie bei allen Themen mit Ihnen zusammen wissenschaftliche Studien rund um das Thema „gutes Schlafen“ ansehen. Und dabei natürlich immer wieder fragen, was wir aus den Studien lernen können, um besser zu schlafen.
In dieser Ausgabe gehen wir zunächst der Frage nach, warum wir schlafen. Schlaf macht uns wehrlos, Schlaf ist gefährlich, warum schlafen wir also trotzdem? Wir werden aber auch fragen, was Schlafmangel mit uns macht. Die Antwort: Betrunken, gereizt und traurig. Und wir werfen einen ersten Blick in die Schlafsteuerung unserer Gehirne. Eine winzige Ansammlung von Gehirnzellen, der suprachiasmatischer Nukleus, betreibt die inneren Zentraluhren unseres Lebens, die uns auch nach Tagen in der absoluten Finsternis eines Bergwerkstollens noch wissen lässt, ob da draußen Tag oder Nacht ist. Diese inneren Uhren steuern einen kompletten 24-Stunden-Wach-/Schlafzyklus. Jede Störung dieses Zyklus kann Schlafstörungen zur Folge haben. Die Ursache einer Schlafstörung kann daher schon in den ersten 10 Minuten des Tages liegen, muss also eventuell überhaupt nichts mit dem abendlichen Herumwälzen im Bett zu tun haben.
Was Sie aus der heutigen Ausgabe unbedingt mitnehmen müssen? Zunächst das Wissen, das chronischer Schlafmangel echtes Teufelszeug ist, das man meiden sollte, wie die Pest. Dann aber vor allem das Wissen darüber, wie man die innere Uhr in Gang setzt und immer wieder neu stellt, wenn sie mal wieder falsch geht. Nur wer morgens richtig wach wird, wird auch abends richtig müde. Lesen Sie unseren Selbstmanagement Leitartikel „Stellen Sie Ihre Uhr, aber richtig!“, dann wissen Sie, womit Sie sofort beginnen können, um Ihrem Schlaf auf die Beine zu helfen.
Lassen Sie uns nun also auf die Suche nach dem guten Schlaf gehen…
Ihr Prof. Dr. Stefan Winter
Ihr Robin Stetzka, M.Sc.
Warum schlafen wir?
Praktisch sämtliche lichtsensitiven Lebewesen, ob Pflanzen oder Tiere, ob Cyanobakterium oder Homo sapiens: Alle schlafen in irgendeiner Form. Manche mehr, manche weniger. Menschen schlafen in der Regel zwischen etwa 6 und 10 Stunden, 8 bis 9 Stunden gelten als ideal. Fledermäuse bringen es auf bis zu 20 Stunden.
Damit sind sie aber noch immer nicht die Spitzenreiter, diese Position besetzt wohl der Koala, der bis zu 22 Stunden des Tages schlummert. Afrikanische Elefanten kommen mit drei Stunden aus. Was den Schlaf so erstaunlich macht ist, dass er in der freien Natur so gefährlich ist. Während des Schlafs ist die Wahrnehmungsfähigkeit deutlich reduziert, Reaktionsgeschwindigkeiten sind vermindert. Kurzum: Im Schlaf ist man leicht angreifbar. Warum also schlafen die meisten Lebewesen trotzdem?
Das Faultier scheint die Gefahr des Schlafes zu kennen. In freier Wildbahn schlafen Faultiere um die 10 Stunden, im Zoo bis zu 16 Stunden. Zoos sind halt sicherer als die freie Wildbahn, da kann man sich ein paar Stunden zusätzlich gönnen. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass es im Zoo langweiliger ist?
Inzwischen hatte die Evolution über dreieinhalb Milliarden Jahre Zeit, uns allen, also dem Cyanobakterium und dem Menschen, das Schlafen abzutrainieren. Die, die weniger geschlafen haben, waren weniger Gefahren ausgesetzt, hatten mehr Zeit für die Nahrungsbeschaffung und auch mehr Zeit für die Fortpflanzung. Daher müssten sich eigentlich die Kurzschläfer in der Evolution durchsetzen. Das ist aber nicht passiert. Was sehr dafür spricht, dass der Schlaf Vorteile bietet, die so gewichtig sind, dass diese die zusätzlichen Risiken und den Verzicht auf zusätzliche Nahrungsbeschaffung wert sind. Wenn der Schlaf Milliarden Jahre überlebt hat und sich annähernd aller Lebewesen bemächtigt hat, dann kann das wohl kein Zufall sein.
Was aber genau ist der enorme Vorteil des Schlafs, warum also schlafen wir? Nun, die derzeitige Antwort dürfte lauten: So genau hat die Forschung das noch gar nicht geklärt. Es gibt eine Reihe von Vermutungen. So wird argumentiert, dass Reparatur- und Erholungsprozesse von Körper und Gehirn während des Schlafs besser funktionieren. Sodann spart Schlaf Energie, wer viel schläft muss also auch gar nicht so viel Nahrung beschaffen. Das ist ein enormer Vorteil in einer Welt, in der Nahrung knapp ist, wie das für die meisten Lebewesen über die gesamte Zeit der Evolution galt. Ferner wird argumentiert, dass sich während des Schlafs das Immunsystem erholt und das Gehirn wichtige Funktionen wie z.B. die Gedächtnisbereinigung ausführt. Das Unwichtige wird gelöscht und das Wichtige kommt in die Langzeiterinnerung. Diese ganzen Erklärungen können allerdings immer noch nicht erklären, warum sich nicht Lebewesen entwickelt haben, die diese ganzen Prozesse auch im Wachzustand erledigen können.
Warum also schlafen wir? Nun, wie Sie gesehen haben, kann Ihnen diese Frage derzeit noch niemand abschließend beantworten. Wir können aber etwas Anderes tun. Wir können einfach die Wichtigkeit des Schlafs beweisen. Denn wie wichtig der Schlaf ist, sehen wir spätestens dann, wenn wir zu wenig schlafen. Lassen Sie uns also einmal nachsehen, was Schlafmangel so alles im Gepäck hat…
Betrunken, hungrig und traurig – Einige Folgen des Schlafmangels
Die Effekte von Schlaf und Schlafmangel sind in zehntausenden von Studien erforscht worden und werden es weiter. In Fachzeitschriften wie „Sleep“, „Sleep Medicine“, „Journal of Sleep Research“ und hunderten von anderen erscheinen täglich neue Studien rund um den Schlaf. Dabei zeichnet sich ein ziemlich düsteres Bild des Schlafmangels ab. Was im Einzelfall nach einer durchfeierten Nacht als verhunzter Folgetag daherkommt, wird bei chronischem Schlafmangel zum Riesenproblem. Aber sehen Sie selbst…
Sinkende Leistungsfähigkeit!
Im Jahre 1996 haben June Pilcher und Allen Huffcuff eine Studie zu den Effekten des Schlafmangels veröffentlicht. In der Studie wurden die Ergebnisse von 19 Einzelstudien zusammengefasst. In diesen 19 Studien wurden knapp 2.000 Probanden auf Effekte von Schlafmangel hin analysiert. Das Ergebnis war eindeutig: Schlafmangel reduziert die menschliche Leistungsfähigkeit in enormem Ausmaß. Die Strategie, weniger zu schlafen, um mehr zu schaffen funktioniert also überhaupt nicht. In der Zusammenfassung der Studienergebnisse zeigte sich z.B., dass die durchschnittlich Leistungsfähigen in der Gruppe der Schlechtschläfer etwa so leistungsfähig waren, wie die 10 Prozent der schlechtesten in der Gruppe der Gutschläfer. Und selbst die Leistungsfähigsten in der Gruppe der Schlechtschläfer waren gerade so gut, wie der Durschnitt der Gutschläfer. Man könnte es auch so sagen: Schlafmangel macht mittelmäßig!
In einer Studie aus dem Jahr 2009 schreiben Namni Goel und Koautoren, dass chronischer Schlafmangel zu einem schwerwiegenden Verlust intellektueller Fähigkeiten führt, der den Betroffenen oft nicht bewusst ist. Ebenso nehmen motorische Fähigkeiten ab, die Reaktionsgeschwindigkeit sinkt und die Aufmerksamkeit nimmt ab. Autofahren nach Schlafentzug ist wie betrunkenes Autofahren.
Jonathan Craven und Koautoren haben den Effekt von Schlafmangel auf die Leistungsfähigkeit von Sportlern untersucht, indem sie wiederum viele Einzelstudien ausgewertet haben. Ihr Ergebnis: In allen Studien zeigte sich ein negativer Effekt von Schlafmangel auf die physische Leistungsfähigkeit. Hierbei zeigt sich allerdings auch, dass vor allem die Leistungsfähigkeit am Nachmittag den Bach runterging, während die morgendliche Leistungsfähigkeit kaum litt. Woraus man schon einmal den Schluss ziehen kann, dass man nach einem unvermeidlichen Schlafmangel die wichtigsten Dinge und größten Belastungen sofort morgens auf sich nehmen sollte.
Fazit: Die starken negativen Effekte von Schlafmangel auf die Leistungsfähigkeit können als gesichert gelten!
Quellen
Craven, J., McCartney, D., Desbrow, B., Sabapathy, S., Bellinger, P., Roberts, L., & Irwin, C. (2022). Effects of acute sleep loss on physical performance: A systematic and meta-analytical review. Sports Medicine, 52(11), 2669-2690.
Goel, N., Rao, H., Durmer, J. S., & Dinges, D. F. (2009, September). Neurocognitive consequences of sleep deprivation. Seminars in neurology 29(04), 320-339.
Pilcher, J. J., & Huffcutt, A. I. (1996). Effects of sleep deprivation on performance: a meta-analysis. Sleep, 19(4), 318-326.
Üble Laune!
Michal Kahn, Gal Shappes und Avi Sadeh geben in Ihrem Aufsatz einen Überblick über die bis dato entdeckten Zusammenhänge zwischen Emotionen und Schlaf. Sie führen unter anderem aus, dass Schlafentzug sogar als Foltermethode eingesetzt wird, was bereits zeigt, welch dramatisch negative Effekte Schlafentzug hat. Die Autoren führen an, dass als Folgen des Schlafmangels gesteigerte Angstzustände, Verwirrung und Erschöpfung gefunden wurden. Eine Vielzahl von Studien berichtet über die signifikante Zunahme von depressiven Symptomen als Folge von Schlafmangel. Schlafmangel reduziert ferner die Zahl als auch die Dauer positiver Stimmungen im Tagesverlauf. Schlafmangel führt zudem zu erhöhten Wahrscheinlichkeitseinschätzungen für persönliche Katastrophenszenarien.
Katherine Baum und Kollegen haben Jugendliche in einem Experiment in die Schlafachterbahn geworfen. 50 gesunde Jugendliche wurden drei Wochen lang einem Schlaftest unterzogen. Die erste Woche diente nur der Erfassung der Ausgangsbasis. In der zweiten Woche durften die Jugendlichen nur sechseinhalb Stunden im Bett verbringen, in der dritten Woche waren es dann zehn Stunden. Die Ergebnisse zeigen, dass die verkürzte Schlafzeit in der zweiten Woche zu einem Anstieg von Anspannung, Aggression, Feindseligkeit, Verwirrung und Erschöpfung geführt haben. Nach Auskunft der Eltern kam es in der Schlafmangelwoche auch zu mehr Streitereien.
Allison Harvey fasst die Literatur wie folgt zusammen: Schlafstörungen sind ein Risikofaktor für Depressionen und bipolare Störungen, begünstigen Rückfälle bei diesen Erkrankungen, beeinträchtigen die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren und beeinträchtigen intellektuelle Fähigkeiten. Schlafmangel fördert die Entstehung anderer Krankheiten und erhöht sogar die Selbstmordneigung.
Fazit: Die starken negativen Effekte von Schlafmangel auf Gesundheit, Stimmung und Lebensfreude können als gesichert gelten!
Quellen
Baum, K. T., Desai, A., Field, J., Miller, L. E., Rausch, J., & Beebe, D. W. (2014). Sleep restriction worsens mood and emotion regulation in adolescents. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 55(2), 180-190.
Harvey, A. G. (2011). Sleep and circadian functioning: critical mechanisms in the mood disorders?. Annual review of clinical psychology, 7, 297-319.
Kahn, M., Sheppes, G., & Sadeh, A. (2013). Sleep and emotions: bidirectional links and underlying mechanisms. International Journal of Psychophysiology, 89(2), 218-228.
Hungrig!
Virgine Bayon und Koautoren geben einen Überblick über Studien zum Zusammenhang von Schlafdauer auf der einen Seite und Essverhalten und Körpergewicht auf der anderen. Hier ein paar ihrer Befunde. In einer Studie wurde Übergewicht bei 5-jährigen Kindern untersucht. Resultat: Fernsehverhalten, der Konsum von Snacks und Süßigkeiten und vieles andere spielte eine Rolle. Doch den stärksten Einfluss hatte das Schlafverhalten. Ergebnis: Schlafmangel macht dick! Die Gesamtheit der Studien zeigt den Gewichtseffekt des Schlafmangels auch für Erwachsene.
Jean-Philipe Chaput argumentiert, dass es mehrere Effekte geben dürfte, warum kürzere Schlafdauern zu höherem Gewicht führen. Ein Effekt besteht darin, dass sich der Hormonhaushalt bei verkürzten Schlafdauern verändert und mehr Hormone produziert werden, die Hunger signalisieren. Dann könnte es sein, dass sich müde Menschen weniger bewegen und z.B. nicht mehr zum Sport gehen. Schließlich zeigt sich auch, dass müde Menschen mehr essen, um mit den Lustgefühlen des Essens die Müdigkeitsgefühle zu verscheuchen.
Eine Reihe von Studien wie die von Nedeltcheva und Kollegen oder die von Weiss und Kollegen zeigt denn auch, dass Menschen nach Schlafmangel mehr zu hochkalorischen Lebensmitteln und Snacks greifen. Eine Rolle dürfte dabei auch spielen, dass man bei Müdigkeit Versuchungen noch schlechter widerstehen kann als im ausgeruhten Zustand. Selbst ausgeruht ist es ja schon schwer genug zu widerstehen, wenn einem duftende Schokocookies unter die Nase gehalten werden. Wer aber müde ist, hat in einer Welt der ständigen Verführungen dann überhaupt keine Chance mehr, beim „Nein!“ zu bleiben…
Karine Spiegel und ihre Koautoren zeigen in ihrer vielzitierten Studie mit jungen, gesunden Männern, dass Schlafmangel zu Änderungen des Hormonhaushalts führen, die zu mehr Hunger führen. Und auch sie können zeigen, dass der Appetit der Studienteilnehmer auf kalorienreiche Nahrung deutlich zugenommen hat.
Fazit: Die starken negativen Effekte von Schlafmangel auf Nahrungsauswahl, Essverhalten und Körpergewicht können als gesichert gelten!
Quellen
Bayon, V., Leger, D., Gomez Merino, D., Vecchierini, M. F., & Chennaoui, M. (2014). Sleep debt and obesity. Annals of medicine, 46(5), 264-272.
Chaput, J. P. (2010). Short sleep duration promoting overconsumption of food: A reward-driven eating behavior?. Sleep, 33(9), 1135-1136.
Nedeltcheva, A. V., Kilkus, J. M., Imperial, J., Kasza, K., Schoeller, D. A., & Penev, P. D. (2009). Sleep curtailment is accompanied by increased intake of calories from snacks. The American journal of clinical nutrition, 89(1), 126-133.
Spiegel, K., Tasali, E., Penev, P., & Cauter, E. V. (2004). Brief communication: sleep curtailment in healthy young men is associated with decreased leptin levels, elevated ghrelin levels, and increased hunger and appetite. Annals of internal medicine, 141(11), 846-850.
Weiss, A., Xu, F., Storfer-Isser, A., Thomas, A., Ievers-Landis, C. E., & Redline, S. (2010). The association of sleep duration with adolescents‘ fat and carbohydrate consumption. Sleep, 33(9), 1201-1209.
Die Entdeckung der inneren Uhren
Russel Foster, einer der weltweit führenden Erforscher unsere inneren Uhren, erzählt in seinem faszinierenden Buch „Life Time“ eine kurze Geschichte der Entdeckung der inneren Uhren. Diese sei hier für den Einstieg verkürzt nacherzählt…
Der französische Forscher Jean-Jacques d’Ortous de Mairan hat um 1730 herum eine Gattung der Mimosen untersucht, nämlich Mimosa Pudica. Diese Pflanze rollt abends ihre Blätter ein und morgens wieder auf. Die erstaunliche Entdeckung von Mairan: Mit dem Ein- und Aufrollen macht die Pflanze auch in absoluter Dunkelheit noch mehrere Tage weiter. Henri-Louis Duhamel du Monceau hat diese Pflanzen dann in einen Bergwerkstollen gebracht und gezeigt, dass sie selbst dort in absoluter Dunkelheit und hier auch bei absolut konstanter Temperatur mit ihrem morgendlichen Aus- und abendlichen Einrollen weitermachen. Der Schweizer Alphonse de Candolle hat dann etwa 100 Jahre später gezeigt, dass das Ein- und Ausrollen keinem exakten 24-Stunden-Rhythmus folgt, sondern einem Rhythmus von 22 bis 23 Stunden. Wieder 100 Jahre später ist der Schlafforscher Nathaniel Kleitman zusammen mit seinem Studenten Bruce Richardson selbst in eine Höhle geklettert, um zu untersuchen, ob auch Menschen eine innere Uhr haben. Haben sie! Wie Kleitman und Richardson herausfanden, folgen Schlaf-Wachzyklen und Körpertemperaturen einem Rhythmus von etwa 24 Stunden. Im Zuge eines weiteren Experiments von Kleitman zeigte sich noch ein anderes faszinierendes Ergebnis: Die innere Uhr in der Höhle tickte auch dann noch weiter im 24-Stunden-Takt, wenn die Probanden gezwungen wurden, in einem 28-Stunden-Takt zu leben. Inzwischen ist allerdings bekannt, dass die innere Uhr nicht sehr präzise ist. Für einen kompletten Schlaf-Wach-Zyklus brauchen unsere inneren Uhren im Durchschnitt etwa 24 Stunden und 12 Minuten. Um nicht aus dem Takt zu kommen, müssen unsere inneren Uhren also immer wieder neu gestellt werden. Weiter unten verraten wir natürlich, wie das geht…
Innere Uhren!
Charles A. Czeisler und Joshua J. Gooley erläutern, dass der suprachiasmatische Nukleus, eine Ansammlung von Neuronen im Hypothalamus, der zentraler Zeitgeber bei Säugetieren und Menschen ist. Unter kontrollierten Bedingungen, d.h. unter Ausschaltung aller Störeinflüsse braucht ein vollständiger Wach-Schlaf-Zyklus bei Menschen im Durchschnitt 24,1 bis 24,2 Stunden, also 6 bis 12 Minuten mehr als eine Tageslänge. Etwa 25 Prozent aller Menschen haben allerdings auch einen Zyklus von weniger als 24 Stunden. Die inneren Uhren fast aller Menschen gehen also falsch, bei den meisten zu langsam, bei manchen aber auch zu schnell. Die Uhren müssen also ständig neu gestellt werden.
Russel Foster schreibt, dass die Existenz innerer Uhren lange bestritten wurde. Einer der prominentesten Kritiker der These von der Existenz einer inneren Uhr, Frank Brown, hat dazu ausgeführt, dass alle biologischen Systeme temperaturabhängig funktionieren. Wenn es also eine biologische Uhr gäbe, so Brown, dann müsste die bei Temperaturschwankungen ständig falsch gehen. Es zeigte sich allerdings, dass Brown die „Intelligenz“ unserer inneren Uhren unterschätzt hat. Wenn es wärmer oder kälter wird, merken die Uhren nämlich, dass es wärmer oder kälter wird und passen sich entsprechend an.
Carrie Partch und Michael Brunner erklären, dass es bei Säugetieren und Menschen Lichtsignale der Augen sind, die unsere innere Zentraluhr, den suprachiasmatischen Nukleus, immer wieder neu stellen.
Sarah Hartley und ihre Kollegen beschreiben in ihrem Aufsatz, welche Probleme sich für blinde Menschen daraus ergeben können, dass sie ihre inneren Uhren nicht mehr durch Licht neu stellen können. Da unsere inneren Uhren in der Regel falsch gehen, leben die Betroffenen in ihrer eigenen Welt, in der ein Tag zum Beispiel 24 Stunden und 12 Minuten dauert. Die gefühlten Zeitzonen der Betroffenen verschieben sich daher ständig gegen die Zeitzonen ihrer Mitmenschen. Sie „driften“ durch die Zeit. Russel Foster gibt in seinem Buch einige Interviewaussagen von Betroffenen wieder. Diese werden manchmal morgens um 6 wach, ein paar Wochen später dann aber abends um 19 Uhr, dann wieder ein paar Wochen später morgens um 1. Eine Teilhabe an einer zeitlich geordneten Gesellschaft ist so kaum noch möglich. Fred Turek führt aus, dass fast alle Zellen des Körpers eigene molekulare Uhren haben und dass diese Uhren das Timing vieler Zellprozesse und Informationsübertragungen im Körper beeinflussen. Unter anderem auch solche Prozess- und Informationsübertragungen, die mit Krankheiten in Verbindung stehen. Turek merkt dazu an, dass das ganz neue Behandlungsansätze ermöglichen würde, Ansätze einer „Zeitmedizin“.
In der Tat berichten Ravi Allada und Joseph Bass, dass es inzwischen vielversprechende Ansätze der Zeitmedizin gibt, die sogar in der Krebstherapie eingesetzt werden können. So berichten die Autoren von einer Studie, in der sich zeigte, dass die Nebenwirkungen von Oxaliplatin, einem Medikament, das im Rahmen der Chemotherapie eingesetzt wird, reduziert werden können, wenn das Timing der Gabe an den menschlichen Zeitrhythmus angepasst wird.
Fazit: Die Existenz von inneren Uhren kann als gesichert gelten. Sie gehen allerdings bei fast allen Menschen falsch und müssen ständig neu gestellt werden!
Quellen
Allada, R. and Bass, J. (2021). Circadian mechanisms in medicine. New England Journal of Medicine, 384(6), 550-561.
Czeisler, C. A. and Gooley, J. J. (2007): Sleep and Circadian Rhythms in Humans. In: Cold Spring Harbor Symposia on Quantitative Biology, Volume LXXII. Cold Spring Harbor Laboratory Press, 579-597.
Foster, R. (2022): Life Time. Penguin Randomhouse, UK..
Hartley, S., Dauvilliers, Y., & Quera-Salva, M. A. (2018). Circadian rhythm disturbances in the blind. Current neurology and neuroscience reports, 18, 1-8.
Partch, C., & Brunner, M. (2022). How circadian clocks keep time: the discovery of slowness. FEBS Letters, 596(13), 1613-1614.
Turek, F. W. (2016). Circadian clocks: not your grandfather’s clock. Science, 354(6315), 992-993.
Stellen Sie Ihre innere(?) Uhr, aber richtig!
Unsere Körperfunktionen, unsere Körpertemperatur, Verdauung und Hormonhaushalt, das Wachsein und der Schlaf werden durch unsere inneren Uhren gesteuert. Diese Uhren steuern alle diese Prozesse in einem zeitlichen Zyklus, der ungefähr einen Tag umfasst, wie wir oben bereits gesehen haben. Daher bezeichnet man den Zyklus auch als zirkadianen Zyklus. Das „zirka“ steht für „ungefähr“ und das „dia“, abgeleitet von „dies“, steht für den „Tag“. Wie wir gesehen haben, kann dieses „zirka“ zum echten Problem werden, wenn man seine innere Uhr nicht von „ungefähr ein Tag“ auf „genau ein Tag“ eingestellt bekommt, wie das bei blinden Menschen der Fall sein kann.
Wie aber stellt man seine innere Uhr am besten? Dazu hat die Forschung inzwischen die passende Antwort parat: Durch Licht! Und zwar durch helles Licht, wirklich helles Licht. Was aber ist wirklich hell? Ein Büro mit Neonröhren? Eher nicht. Bürobeleuchtungen erzeugen üblicherweise eine Beleuchtungsstärke von etwa 500 Lux auf der Schreibtischoberfläche. Das mag uns an einem nasskalten Wintermorgen um 6:30 in der Tat sehr hell erscheinen. Das liegt aber nur daran, dass es draußen noch stockfinster ist. Gut, im Vergleich zum Mondenschein mit 0,1 bis 0,3 Lux ist es auch hell, genauso wie im Vergleich zu dem einen Lux, das eine Kerze in einem Meter Entfernung abgibt. Aber im Vergleich mit Sonnenlicht sind selbst hell erleuchtete Büros finstere Höhlen. Sonnenlicht mit 100.000 oder mehr Lux ist etwa 200-mal heller als Bürobeleuchtungen. Das ist hell. Und das ist eine Helligkeit, die unsere inneren Uhren für den Start in den Tag lieben. An einem strahlenden Sommermorgen eine halbe Stunde unter freiem Himmel verbringen? Dann verpasst Ihnen Ihr suprachiasmatischer Nukleus einen Knutschfleck vor lauter Lebensfreude! Das ist das Licht, dass Sie so richtig wach und munter macht, Ihre Laune hebt und Sie leistungsfähig für den Tag macht.
Jetzt hören wir Sie schon meckern: „Bei mir ist immer Scheißwetter und sowieso muss ich schon raus, wenn es noch dunkel ist!“ Tja, wenn das so ist, dann hilft Ihnen Sonnenlicht wohl wirklich nicht so viel weiter. Wir könnten Ihnen jetzt natürlich empfehlen, Ihren Job zu kündigen und auf die Kanarischen Inseln umzuziehen, um das Sonnenproblem zu lösen. Da scheint annähernd das ganze Jahr die Sonne, dumm wäre diese Empfehlung also nicht. Und in vielen Cafés kriegen Sie einen guten Kaffee für weniger als 2 Euro, für die Kanaren spricht also nicht nur die Sonne. Allerdings nehmen wir an, dass Sie denn doch lieber etwas praktikablere Lösungsvorschläge von uns hören wollen, nicht wahr?
Es gibt zwei technische Hilfsmittel, die die Sonne zwar nicht ersetzen, die aber gute Dienste leisten können. Beide bringen Licht in Ihr Gehirn, helles Licht. Die erste Lösung sind Tageslichtlampen. Tageslichtlampen sind Lampen, die sehr helles, in der Regel kaltweißes Licht abstrahlen. Die Hersteller werben häufig damit, dass ihre Lampen Beleuchtungsstärken von 10.000 Lux abgeben. Davon sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen, da das die Beleuchtungsstärken direkt auf der Lampenoberfläche sind. Die Beleuchtungsstärke nimmt bei zunehmender Entfernung aber sehr schnell ab. Wir haben das auf unseren Schreibtischen gemessen. Unsere Tageslichtlampen schaffen auf der Lampenoberfläche zwischen 25.000 und 35.000 Lux, in 60 Zentimeter Entfernung, also ungefähr auf unseren Gesichtern, kommen davon noch etwa 2.000 bis 2.500 Lux an. Das aber ist immer noch dramatisch mehr als das, was unsere Deckenbeleuchtungen hergeben. Oder ein Fenster an einem bedeckten Wintertag.
Und dann hilft uns noch der Kompensationseffekt: Unsere Tageslichtlampen spucken zwar nicht dieselbe Beleuchtungsstärke aus wie die Sonne. Aber zumindest in einem gewissen Umfang kann man Helligkeit durch Dauer ersetzen. 30 oder 40 Minuten Tageslichtlampendusche tun daher schon so einiges, um unsere zirkadianen Rhythmen in Gang zu bringen.
Nun zeigt sich, dass nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Lichtfärbung eine Rolle spielen. Es sind die kalten Lichtfarben weiß und blau, die uns munter machen und die inneren Uhren anwerfen. Sie werden daher keine roten Tageslichtlampen finden, die würden das Thema verfehlen. Wer früh raus muss oder ohnehin keine Sonne zu sehen bekommt, der kann sich mit einer Tageslichtlampe eine wirksame Alternative in die Wohnung stellen.
Dabei gibt es natürlich ein weiteres Problem. Man muss ziemlich nah vor der Lampe sitzen bleiben, damit das funktioniert. Inzwischen gibt es allerdings auch eine Alternative: Tageslichtbrillen, bei denen das Licht vom Brillengestellt direkt auf die Augen abgestrahlt wird. Diese Brillen erlauben die freie Bewegung und Betätigung, man kann Zähne putzen und frühstücken und in der Wohnung herumrennen. Die Brillen sind noch neuer, daher gibt es hierzu noch nicht so viel Forschung. Da das prinzipielle Lichtkonzept aber dasselbe ist wie bei Tageslichtlampen, dürfte das Brillenkonzept bei guten Brillen funktionieren. Um es aber gleich zu sagen: Die Brillenlösung ist teurer. Brauchbare Tageslichtlampen bekommt man ab 20 Euro, richtig gute zwischen 40 und 60. Bei Tageslichtbrillen muss man derzeit eher oberhalb von 150 Euro ausgeben, die Spitzenmodelle liegen deutlich darüber.
Was hat das nun aber alles mit dem Thema dieses Newsletters zu tun, ging es hier nicht um Schlaf? Doch, ging es. Tatsächlich geht um das Thema Schlaf, wenn man sich mit Tageslichtbrillen und Tageslichtlampen morgens eine Lichtdröhnung verpasst. Denn dann startet der zirkadiane Zyklus, der uns erstmal richtig wach und leistungsfähig macht. Und der 12 bis 14 Stunden später die Müdigkeits- und Schlafphase einläutet. Das passiert dann ganz automatisch. Wer also eine gute Schlafphase will, muss erstmal mit einer guten Wachphase beginnen. Denn wer nie richtig wach wird, kann auch nie richtig schlafen. Daher unser Rat: Starten Sie Ihre Tage mit einer Erleuchtung!
Der zirkadiane Lichtcheck
Morgens den Tag mit sehr hellem, blauem oder kaltweißem Licht beginnen!
Wenn die Sonne nicht zu sehen ist: Tageslichtlampen oder -brillen einsetzen!
Tagsüber so viel helles Licht tanken, wie möglich!
Immer möglichst dicht an Fenstern sitzen, Gardinen weglassen!
Wo immer ohne Sicherheitsrisiken möglich auf Sonnenbrillen verzichten!
12 bis 14 Stunden nach dem Aufstehen auf geringere Beleuchtungsstärken und rötliche / gelbe Lichtfarben umsteigen!
Lichtfarbe von Bildschirmen abends auf Gelbtöne umstellen oder Brillen mit Blaulichtfilter tragen!
Viele Spiegelschränke in Badezimmern sind für den Abend zu hell, Leuchtmittel austauschen oder eine zusätzliche Abendlampe benutzen!
In der nächsten Ausgabe…
Im nächsten Newsletter sehen wir uns an, was man morgens, tagsüber und abends noch alles tun kann, um abends besser zu schlafen. Wir sehen uns an, wie unsere Ernährung unseren Schlaf beeinflusst, was Körpertemperatur und Schlaf miteinander zu tun haben und warum man Schlaftabletten besser als Betäubungstabletten bezeichnen sollte. Und natürlich müssen wir auch Kaffee, Bier und Wein mal etwas genauer unter die Lupe nehmen. Aber natürlich wollen wir Ihnen keines davon madig machen…
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