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Ungestört lebt es sich besser!
Liebe Leserin, lieber Leser,
Emails sind schlimmer als das Kiffen am Arbeitsplatz!
Das ist zumindest die Überschrift eines Interviews, welches vor kurzem in der Wirtschaftswoche erschienen ist. Thema des Interviews: Die ständigen Unterbrechungen, denen wir ausgesetzt sind. Und zu denen die Emails zuverlässig ihren Anteil beisteuern.
Diesem Thema wollen auch wir uns heute widmen. Was machen Unterbrechungen mit uns und was machen sie mit unserer Produktivität? Wie wird man besser mit Unterbrechungen fertig, die sich partout nicht vermeiden lassen? Vor allem aber: Wie hält man sich Unterbrechungen überhaupt vom Leib?
Eine Möglichkeit: Emailprogramm abschalten und an einen einsamen Strand zurückziehen. Nun ja, würden wir Ihnen gern empfehlen, aber da wir das selbst nicht hinkriegen, tun wir Ihnen und uns mit solchen Ratschlägen sicher keinen Gefallen. So sehr diese Vorstellung auch verlockt. Oder hätten Sie etwas gegen die Arbeitsbedingungen im folgenden Bild einzuwenden?
Wie sich erfreulicherweise zeigt, können wir außer einem Umzug ins Paradies aber auch dann noch eine ganze Menge unternehmen, wenn wir bleiben, wo wir sind. Unterbrechungen lassen sich nämlich stärker beeinflussen, als uns meist bewusst ist. So viel sei bereits hier verraten!
Lasen Sie uns also eintauchen in ein neues, spannendes und wichtiges Thema des Selbstmanagements. Dabei zeigt sich unter anderem, dass wir viel mehr darüber kommunizieren sollten, wie wir miteinander kommunizieren wollen. Das behauptet zumindest unser heutiger Leitartikel „Kommunikation!“ Lassen Sie uns einsteigen in den besseren Umgang mit den ständigen Unterbrechungen. Schön, dass Sie auch in diesem Monat wieder dabei sind!
Ihr Prof. Dr. Stefan Winter
Ihr Dr. Robin Matz
Die Kosten der Quälgeister
Unterbrechungen, so scheint es, sind eine Heimsuchung, denen niemand mehr entkommen kann. Vibrationsalarme, Piepstöne, Pop-ups, oder hereinstürzende Chefinnen mit Wichtig-Wichtig-Akten: Wir werden ständig unterbrochen. Und das hat Folgen. Für die Unternehmen, für die wir arbeiten und für uns selbst.
Häufig sind uns die Wirkungen von Unterbrechungen gar nicht klar. Da hilft es dann manchmal, wenn sich das Wissenschaftler mal etwas genauer ansehen. Besonders intensiv ist das beim Autofahren gemacht worden. Und, was unterbricht uns gern beim Autofahren? Das Handy natürlich!
Hauptergebnis der Studien: Telefonieren beim Autofahren reduziert die Reaktionsgeschwindigkeit. Mit einer riesigen Wirkung: Die Unfallwahrscheinlichkeit erhöht sich um sage und schreibe 300%, wie Suzanne McEvoy und Kollegen feststellen. Dabei finden Jeff Caird und Kollegen etwas Erstaunliches heraus: Ob man direkt über das Handy telefoniert oder über eine Freisprechanlage spielt keine Rolle, die Reaktionszeitverlängerungen und die Erhöhung der Unfallwahrscheinlichkeiten sind identisch. Das steht in krassem Gegensatz zur öffentlichen Meinung, nach der das Telefonieren mit Freisprechanlagen viel ungefährlicher sei. Die Befunde lassen auch Zweifel daran aufkommen, das Telefonieren mit dem Handy zu verbieten, das Telefonieren über Freisprechanlagen aber nicht. Diese Befunde sind inzwischen mehrfach bestätigt worden. Und sie zeigen exemplarisch, was Unterbrechungen mit uns anstellen.
Harshad Puranik und Koautoren kommen zu dem Schluss, dass moderne Wissensarbeiter im Schnitt 10 bis 20 Unterbrechungen pro Stunde ausgesetzt sind. Die daraus resultierenden betriebswirtschaftlichen Effekte rechnen die Forscher dann für die USA hoch. Ihre Schätzung: 600 Milliarden Dollar Produktivitätsverluste pro Jahr. Durch Unterbrechungen wird also richtig viel Geld verbrannt.
Judy Wajcman und Emily Rose schätzen, dass moderne Arbeitnehmer mit Bürojobs nur jeden zweiten Tag mal eine ungestörte Stunde am Stück haben. Dieser Befund ist allerdings schon 2011 erschienen, die Situation hat sich seither sicher nicht verbessert. Heute muss man Zeiten ohne Störung wahrscheinlich mit einer Stoppuhr messen.
All das bleibt auch nicht ohne persönliche Folgen. Beck und Kollegen schreiben, dass Unterbrechungen die Arbeitsgeschwindigkeit reduzieren, was zu Frust führt. Anna Keller und Koautorinnen stellen fest, dass Anstiege in den Unterbrechungen zu vermehrten gesundheitlichen Problemen führen. Helena Kaltenegger und ihre Koautorinnen argumentieren, dass Informationsüberflutung, technische Komplexität und versuchtes Multitasking Treiber von Burnout-Syndromen sind, wobei die Informationsüberflutung besonders schädlich ist.
Wir dürfen also mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die ständigen Unterbrechungen des Lebens mit erheblichen betriebswirtschaftlichen Einbußen verbunden sind. Gleichzeitig führen sie auf der individuellen Ebene zu Frust, Stress und Krankheit. Gründe genug, um etwas dagegen zu unternehmen!
Quellen:
Beck, J.W. et al (2017): Divergent Effects of Distance Versus Velocity Disturbances on Emotional Experiences During Goal Pursuit. In: Journal of Applied Psychology, 102(7), 1109-1123.
Caird, J. K. et al. (2008): A meta-analysis of the effects of cell phones on driver performance, In: Accident Analysis and Prevention, 40(4), pp. 1282-1293.
Kaltenegger, H. C., et al. (2023). Associations of technostressors at work with burnout symptoms and chronic low-grade inflammation: a cross-sectional analysis in hospital employees. International Archives of Occupational and Environmental Health, 1-18..
McEvoy, S. et al (2005): Role of mobile phones in motor vehicle crashes resulting in hospital attendance: a case-crossover study. In: British Medical Journal, 331(7514).
Puranik, H. et al. (2020): Pardon the interruption: An integrative review and future research agenda for research on work interruptions, In: Journal of Management, 46(6), pp. 806-842.
Wajcman, J. and Rose, E. (2011): Constant connectivity: rethinking interruptions at work, In: Organization Studies, (32)7, pp. 941-961.
Stapel können helfen!
In der Fachliteratur zum Umgang mit Unterbrechungen findet sich eine große Zahl von Studien, die sich mit den Folgen der Emailflut aber auch mit sinnvollen Verhaltensstrategien zum besseren Umgang mit dieser Flut befassen.
Wie es aussieht, gibt es leider keine für alle beste Methode zum Umgang mit der Flut. Dennoch ist einiges an brauchbaren Ideen in den Studien zu finden. Vor allem eine Idee wird immer wieder genannt: Die Stapelverarbeitung von Emails. Die Idee ist simpel: Emails werden nicht bearbeitet, wenn sie ankommen, sondern in festen, vorher festgelegten Zeitfenstern. Damit wird die Zahl der Unterbrechungen, denen man durch Emails ausgesetzt ist, reduziert. Wenn man den Briefkasten aufmacht, wird der darin befindliche Stapel abgearbeitet und dann macht man den Briefkasten wieder für ne Weile zu.
Diverse Studien zeigen, dass das ein erfolgreicher Weg sein kann, zumindest diesen Unterbrechungsfaktor etwas in die Schranken zu weisen. In ihrer Untersuchung haben Kostadin Kushlev und Elisbeth Dunn ihre Studienteilnehmer eine Woche lang Emails beliebig checken lassen und in der anderen Woche nur dreimal täglich. Ergebnis: In der Woche, in der die Emails nur dreimal täglich gecheckt wurden, ging es den Teilnehmern deutlich besser durch einen signifikanten Stressrückgang. Eine Reihe von weiteren Studien kommt zu ähnlichen Befunden.
Allerdings gibt es auch mahnende Stimmen, wie die von Indy Wijngaards und Koautorinnen. Sie führen aus, dass man die Stapelbearbeitung von Emails nicht generell einfach empfehlen kann. Als Gründe nennen die Autorinnen, dass es schwierig sein kann, seine etablierten Gewohnheiten zu ändern. Zudem gibt es Menschen, die sich kommunikativ angekettet fühlen, wenn sie nicht ständig in ihre Emails hineinsehen können. Für die würde die Bearbeitung in Stapeln eher zu einer Stresserhöhung führen.
Eine Schlussfolgerung ist aber wohl dennoch erlaubt: Es spricht nichts dagegen, die Stapelbearbeitung zumindest einmal auszuprobieren. Wem das extrem schwer fällt oder wer glaubt, immer innerhalb kurzer Zeit reagieren zu müssen, der kann ja mit zwei Stapeln pro Stunde anfangen. Der erste wichtige Schritt hierbei ist, sich überhaupt bewusst zu werden, dass es andere Herangehensweisen als die sofortige Bearbeitung gibt.
Eine weitere Warnung wollen wir aber nicht verschweigen: Stephen Barley, Debra Meyerson und Stine Grodal argumentieren nämlich, dass Emails oft auch einfach nur ein Symbol der Überlastung sind. Die wirklichen Probleme liegen womöglich an anderer Stelle, sind aber vielleicht nicht so leicht zu erkennen, wie ein überlaufendes Postfach.
Quellen:
Barley, S. R., Meyerson, D. E., & Grodal, S. (2011). E-mail as a source and symbol of stress. Organization science, 22(4), 887-906.
Kushlev, K., & Dunn, E. W. (2015). Checking email less frequently reduces stress. Computers in Human Behavior, 43, 220-228.
Wijngaards, I., Pronk, F. R., & Burger, M. J. (2022). For whom and under what circumstances does email message batching work? Internet Interventions, 27, 100494.
Kommunikation!
Die Masse der Kommunikation und Kommunikationskanäle, in die wir eingebunden sind, täuscht darüber hinweg, dass wir in der Regel über eines nicht kommunizieren. Nämlich darüber, WIE wir miteinander kommunizieren sollten. Wir tun es einfach irgendwie.
In unseren Seminaren zum besseren Umgang mit Unterbrechungen stellen wir immer wieder zwei erstaunliche Phänomene fest. Phänomen 1: Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen fühlen sich oft im Dauerstress. Sie wünschen sich aber keineswegs, dass man sie den ganzen Tag in Ruhe lassen möge. Sie wünschen sich in der Regel lediglich ein einziges ungestörtes Zeitfenster pro Tag. Hierbei liegen die Wünsche meist im Bereich von einer bis zu zwei Stunden, die häufigste Nennung ist 90 Minuten. Phänomen 2: Diesen Wunsch behalten alle schön für sich, niemand in der Firma weiß davon. Vor den Seminaren kannten die Teilnehmer diesen Wunsch oft selbst nicht.
Eine zentrale Frage des besseren Umgangs mit Unterbrechungen lautet also: Sind 90 Minuten machbar und kann man diesen Wunsch auch kommunizieren? Fangen wir bei der Klärung mit dem Chef an. Haben Sie einen, der ständig mit neuen Themen in Ihr Büro geplatzt kommt? Auch wenn das erstmal merkwürdig klingen mag: Vielleicht können Sie mit dem vereinbaren, dass der Sie zwischen 8:30 und 10:00 in Ruhe lässt. Sie begründen Ihren Wunsch damit, dass Sie für die anspruchsvollsten Aufgaben ungestörte Zeiten unbedingt brauchen und Sie nur so echte Topleistungen erbringen können. Selbst wenn er das dann immer wieder vergisst und in ihr Büro gestolpert kommt, dann können Sie sich einfach in dieser Zeit verstecken und niemand ist hinterher böse.
Klar, es gibt Chefs und Chefinnen, mit denen sowas nicht zu machen ist. Die würden Sie sogar finden, wenn Sie sich im nächsten Stadtpark zwischen den Hecken verstecken würden. Aber einen Versuch ist es womöglich wert.
Einfacher ist die Kommunikation über die Kommunikation sicher mit Kolleginnen und Untergebenen. Haben Sie jemals miteinander besprochen, welche Reaktionszeiten auf Emails Sie voneinander erwarten? Gloria Mark und ihre Kolleginnen kommen in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass 70% aller Emails innerhalb von 6 Sekunden nach Zustellung erstmalig betrachtet werden. Sie können sich darauf verlassen, dass das niemand von Ihnen erwartet! Wenn es Ihnen so geht wie uns selbst und wohl den meisten Menschen, dann sind Sie irgendwie in die Email-Nutzung reingeschlittert, ohne je darüber nachzudenken, wie man diese Technologie optimal nutzt. In einer Studie von Larissa Barber und Alecia Santuzzi zeigte sich, dass Menschen in Arbeitskontexten einen erheblichen Druck verspüren, schnell auf Mails zu reagieren und dieser Druck Stress verursacht. In der Regel ist dieser Druck aber selbsterzeugt, weil er sich nur auf Ansprüche an sich selbst stützt. Was andere erwarten, bleibt in der Regel ungeklärt. Klären Sie diese Erwartungen mit den Menschen um Sie herum! Wenn Sie wissen, dass eine Reaktionszeit von einem Tag allgemein als angemessen angesehen wird, dann müssen Sie Mails nicht mehr innerhalb von 6 Sekunden betrachten.
Klären Sie auch, über welchen Medien welche Themen Sie untereinander austauschen wollen. Die Forschung zeigt, dass Instant Messaging invasiver und dringlicher wahrgenommen wird als mails. Telefon ist noch schlimmer.
Vereinbaren Sie untereinander Regeln, welches Kommunikationsmedium für welche Dringlichkeitsstufen eingesetzt werden darf. Niemand braucht eine Instant Message, die darüber informiert, dass in drei Tagen ein Meeting angesetzt ist. Eine Forschungsarbeit von Ashish Gupta und Kollegen kommt zu dem Ergebnis, dass Instant Messages die Erledigungszeit der eigentlichen Aufgaben verlängert und dass Instant Messages durch Vorgesetzte die Arbeitsqualität verschlechtern.
Quellen:
Gupta, A. et al. (2005): Should I send this message? Understanding the impact of interruptions, social hierarchy and perceived task complexity on user performance and perceived workload, In: Decision Support Systems, 55(1), pp. 135-145
Mark, G. J. et al. (2012): “A pace not dictated by electrons”: An empirical study of work without email, In: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, May 2012, pp. 555–564.
Barber, L. K., & Santuzzi, A. M. (2015). Please respond ASAP: workplace telepressure and employee recovery. Journal of occupational health psychology, 20(2), 172.
Unser Selbstmanagement-Tipp dieser Ausgabe
Sprechen Sie über Ihre gegenseitigen Kommunikationserwartungen! Sprechen Sie über Reaktionszeiten, über angemessene und unangemessene Medien, sprechen Sie darüber, was „dringlich“ wirklich bedeutet. Und sprechen Sie mit Ihrer Chefin, ob Sie sich 90 Minuten pro Tag verstecken dürfen! Sprechen, Sprechen, Sprechen!
In der nächsten Ausgabe…
Die nächste Ausgabe erscheint nach der Sommerpause im September. Dort werden wir uns des Umgangs mit Unterbrechungen nochmals annehmen. Heute haben wir nämlich einen der schlimmsten Unterbrecher noch davonkommen lassen: Uns selbst. Manchmal muss man sich leider auch selbst den Spiegel vorhalten!
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