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Finger weg von „Gefällt mir!“
Liebe Leserin, lieber Leser,
ist es an der Zeit, den eigenen digitalen Selbstmord zu planen, also den kompletten Rückzug aus der Welt der Bits und Bytes? Sollten wir es dem traurigen Roboter im Bild gleichtun, sollten wir unser digitales Leben beenden? Wenn man sich an Bushaltestellen, in U-Bahnen, oder inzwischen auch in Hörsälen an Universitäten umsieht, drängt sich zumindest die Frage auf, ob wirklich wir unsere Handys bedienen oder die uns.
Mehr und mehr Menschen wird unwohl mit dem eigenen Nutzungsverhalten digitaler Medien. Machen Handys süchtig, einsam und krank?
Unbestritten ist, dass die Zeit zunimmt, in der wir auf Bildschirme sehen und die Zeit abnimmt, in der wir in Gesichter realer Menschen blicken, die uns gegenübersitzen und mit uns reden. Es mehren sich die Belege dafür, dass das Ersetzen von persönlicher Kommunikation durch digitale Kommunikation kausal unglücklich und einsam macht. Dazu später mehr.
Nun werden wir Ihnen aber dennoch nicht empfehlen, Ihr Smartphone in den Müll zu schmeißen. Wir plädieren nicht für den digitalen Selbstmord! Aber wir plädieren für eine viel strengere Aufsicht über uns selbst. Denn die Bits und Bytes, die uns heute aus Bildschirmen entgegenspringen, werden mehr und mehr von Profis designt, die mit unserer Aufmerksamkeit sehr, sehr viel Geld verdienen. Und dabei setzen sie immer ausgeklügeltere Tricks ein, um uns online zu halten und abhängig zu machen. Es geht uns tatsächlich besser, wenn wir wieder mehr von unserer wertvollen Zeit vor den Aufmerksamkeitsjägern der Social-Media-Giganten in Sicherheit bringen.
Aber wie? Nun, zum heutigen Einstieg in das Thema werden wir Ihnen lediglich einen einzigen Ratschlag mitgeben. In unserem Leitartikel „Heroin und „Gefällt mir“ Buttons“ werden wir Ihnen empfehlen, nie wieder „Gefällt mir“ anzuklicken. Zumindest nicht, wenn diese Buttons den Aktivitäten von Menschen gelten, die Ihnen wirklich am Herzen liegen. Wir werden unsere Digital-Detox-Tour aber im Juni fortsetzen und den guten und unguten Verhaltensweisen der Smartphone- und Computernutzung dabei weiter auf den Zahn fühlen.
Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre mit hoffentlich neuen Ideen zum besseren Verständnis und zum kontrollierteren Umgang mit Smartphones, Social Media, Benachrichtigungstönen und Pop-Ups!
Ihr Prof. Dr. Stefan Winter
Ihr Dr. Robin Matz
Die Jagd nach nützlicher Vereinfachung
Die Zeitschrift Nature, eine der renommiertesten wissenschaftlichen Fachzeitschriften der Welt, unterhält einige eigene Newsletter. In einem dieser Newsletter war vor einigen Wochen von einem wissenschaftlichen Streit um prähistorische Jagdmethoden die Rede. Speziell ging es um die Frage, ob die Hetzjagd eine wichtige menschliche Jagdmethode gewesen sein könnte:
Man rennt so lange hinter einer Antilope her, bis die Antilope nicht mehr kann. Ein Forscherteam schätzt, dass es für einen ausdauertrainierten Menschen lediglich etwa 24 Minuten dauern würde, eine Antilope einzuholen. Die können zwar sehr schnell rennen, aber nur über sehr kurze Distanzen. Thomson-Gazellen oder Springböcke schaffen jeweils nur ein paar hundert Meter mit hoher Geschwindigkeit. Und nachdem sie schnell gerannt sind, brauchen sie längere Erholungszeiten. Wenn sie die nicht bekommen, weil ihnen der Zweibeiner doch schon wieder im Nacken sitzt, dann haben die Tiere ziemlich schnell keine Puste mehr.
Nun, welche Rolle diese Form der Jagd auch gespielt haben mag, überdauert hat dieser Jagdstil jedenfalls nicht. Vielmehr haben sich Menschen die Jagd immer einfacher gemacht. Die Distanz, über die man einen Speer schmeißen kann, muss man nicht mehr rennen. Dann kamen Bogen: Leichter, größere Reichweite, mehrere Pfeile in schneller Folge möglich.
Heute gibt es übergewichtige Jäger, die bei der Hetzjagd nicht die geringste Chance hätten. Mit der Reichweite und Präzision moderner Jagdgewehre sind aber sogar sie erfolgreich bei der Jagd. Man setzt sich in warmer und bequemer Kleidung auf den Hochsitz, trinkt einen Kaffee und wenn das Tier auf der Lichtung in 200 Meter Entfernung auftaucht, dann endet sein Leben, ohne dass es überhaupt gemerkt hat, dass es gejagt wurde. Und nach Hause zum Lagerfeuer muss der moderne Jäger das arme Tier auch nicht mehr schleppen, er wirft es einfach auf die Ladefläche des geländegängigen Pick-Up-Trucks, der um die Ecke wartet.
Die Geschichte der Jagd ist, wie viele andere Geschichten der Menschheit, eine Geschichte der Jagd nach Bequemlichkeit. Wir lieben es, es uns bequem zu machen. Waschmaschinen, Autos, Kräne, Traktoren und Flugzeuge machen das Leben bequemer, einfacher. All diese Dinge sind nützlich, weil sie uns eigene Anstrengungen ersparen. Wenn Sie auf die Kanarischen Inseln wollen, steigen Sie in Düsseldorf ins Flugzeug und sind viereinhalb Stunden später da. Als Alexander von Humboldt Teneriffa im Jahr 1799 besuchte, brauchte er 14 Tage. Aber nicht etwa von Düsseldorf aus, sondern vom spanischen Hafen La Coruña. Nach Spanien selbst ist er schon im Vorjahr gereist, man musste damals also etwas mehr Zeit und Unannehmlichkeiten einplanen.
Nützlichkeit und Bequemlichkeit strahlten schon immer eine geradezu magische Anziehungskraft auf uns auf. Mit genau diesem Versprechen von Nützlichkeit und Bequemlichkeit kriegen uns auch die digitalen Medien und Geräte zu fassen. Natürlich ist es vorteilhaft, sich in einer wildfremden Stadt problemlos zurechtzufinden. Ich, Stefan Winter, erinnere mich noch an Urlaubsfahrten im Auto von Hannover in die Gegend von Alicante an der spanischen Mittelmeerküste. Mein Vater ließ sich vor der Abfahrt Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Karte vom ADAC schicken, die genau die zu fahrenden etwa 2000 Kilometer abbildete.
Die Karte musste man Wochen vorher bestellen. Heute setzt man sich ins Auto, sagt Google Maps, wo man hinwill, und kriegt die beste Route berechnet. Man kann Zwischenstopps vorgeben und wenn man sich doch mal verfährt, bringt einen das Navi auf den richtigen Weg zurück. Man kann bereits während der Fahrt tolle Restaurants von Touristenfallen unterscheiden, ohne vorher dagewesen sein zu müssen. Prima, das!
Und natürlich ist es nützlich, sich elektronisch jederzeit mit den Menschen austauschen zu können, die einem lieb und teuer sind. Es ist nützlich, sich in Chatgruppen vernetzen zu können, damit nicht ständig bilateral herumtelefoniert werden muss, um sich für den kommenden Samstag zum Grillen zu verabreden. Digitale Geräte und Medien, soziale Netzwerke und Navigationsapps können also durchaus ihr Nützlichkeitsversprechen halten.
Aber! Ja, jetzt kommt ein großes Aber. Denn es sind nicht die wirklich nützlichen Funktionen, die uns Probleme machen. Oder haben Sie schon mal gehört, dass Menschen von Google Maps süchtig werden? Da würden sich dann peinlich berührte Süchtige zum ersten Treffen der Anoymen Mapser treffen und verschämt berichten, dass sie sich gestern wieder 18 Stunden lang den Stadtplan von Berlin reingezogen haben. Nein, die wirklich nützlichen Anwendungen sind nicht das Problem. Das Problem sind vielmehr die Anwendungen, die nur so tun, als wären sie nützlich für uns, die aber in Wirklichkeit nur nützlich für die Anbieter sind.
Die Profis der sozialen Netzwerke und anderer Dienste beherrschen nämlich inzwischen Techniken, von denen Autohersteller in ihren kühnsten Phantasien nicht zu träumen wagen. Von den Tricks der Medienprofis sind Autohersteller noch meilenweit entfernt. Aber stellen Sie sich zum Vergleich einfach mal vor, Autohersteller würden Autos bauen, mit denen das Fahren sogar im Stau so viel Spaß macht, dass Sie nichts anderes mehr tun wollen. Nie wieder.
Diese Autos hätten neben dem selbstverständlichen Autopiloten vielleicht ein Boardkino, einen Swimmingpool nebst Poolbar und viele andere denkbare Lustbarkeiten. Sie würden nicht mehr in den Urlaub fahren wollen, Sie würden das Fahren selbst als Urlaub betrachten. Derzeit sieht man immer mehr Eltern, die ihren Kindern beim Spielen auf dem Spielplatz nicht mehr zusehen, sondern auf ihren Smartphones herumtippen. Diverse Studien wie die von Dafna Lemish und ihre Kolleginnen zeigen, dass dieses Verhalten die Unfallgefahr für die Kinder erhöht und die soziale Bindung der Kinder zu den Eltern verschlechtert.
Mit dem Suchtauto würden Sie in Zukunft um die Spielplätze herumfahren, da Ihnen nicht nur Ihre Kinder, sondern inzwischen sogar Ihre Smartphones zu langweilig geworden wären. Am liebsten wäre den Autoherstellern, wenn wir überhaupt nicht mehr aussteigen würden. Die Aktienkurse von VW, TESLA und Toyota würden durch die Decke schießen. Dieses Rennen um die Maximierung der Nutzungszeit reiten die Jockeys des digitalen Medienkonsums schon lange.
Das Problem der digitalen Medien ist nicht deren Nutzlosigkeit für uns. Das Problem ist der enorme Nutzen, den die Anbieter daraus ziehen, uns zu übermäßigem Konsum zu verführen. Die Tricks, die sie dabei verwenden, sind auf der neuronalen Ebene der Gehirnmanipulation dieselben Tricks, die die Süßigkeitenindustrie einsetzt, um ständig mehr Kalorien für noch höhere Profite in uns hineinzupumpen. Das Smartphone wird für mehr und mehr Menschen zum Weingummitütchen, das ständig seine Lockrufe aussendet.
Man kann digitale Angebote sinnvoll einsetzen und sie können nützlich sein, sogar sehr nützlich. Daher plädieren wir eben nicht für den digitalen Selbstmord. Es geht uns aber besser, wenn wir die Kontrolle über unser Nutzungsverhalten behalten. In dem Umfang, in dem es Facebook-, Instagram oder TikTok gelingt, uns zu ihren Avataren zu machen, leidet unser eigenes Lebensglück beträchtlich. Machen wir uns also auf die Suche nach den hellen und dunklen Seiten von Bits, Bytes und Bildschirmzeiten!
Quellen:
Lemish, D., Elias, N., & Floegel, D. (2020). “Look at me!” Parental use of mobile phones at the playground. Mobile Media & Communication, 8(2), 170-187.
Nature (2024): Did Humans Evolve to run down prey? Abrufbar unter https://us17.campaign-archive.com/?e=85804b0b41&u=2c6057c528fdc6f73fa196d9d&id=332d4fb735, Aufruf am 21.05.2024
Das Verschwinden der Gesichter aus unserem Leben
In einer Studie aus dem Jahr 2019 stellten Jean Twenge, Brian Spitzberg und Keith Campbell in den USA fest, dass die Generation, die in den 2010er Jahren den Highschoolabschluss machte, im Durchschnitt eine Stunde weniger täglich mit persönlicher Interaktion verbrachte als die Generation 30 Jahre zuvor. Die Nutzungszeit digitaler Medien stieg in der gleichen Zeit entsprechend an. Die Gesichter der Menschen um uns herum beginnen, sich in Bits und Bytes aufzulösen.
Was in dieser Zeit aber auch anstieg: Das Gefühl von Einsamkeit. Vor allem Jugendliche, die sehr viel Zeit mit digitalen Medien und sehr wenig Zeit mit persönlicher Interaktion verbrachten, waren massiv betroffen.
In einer repräsentativen Studie über junge Erwachsene aus den USA im Alter zwischen 19 und 32 Jahren fanden Brian Primak und sein Kollegium heraus, dass von denjenigen mit den höchsten Nutzungszeiten sozialer Medien mehr als dreimal so viele unter Gefühlen der sozialen Isolation litten als von denen mit den geringsten Nutzungszeiten. Kann man aus diesen beiden Studien schließen, dass Smartphones und Soziale Medien unglücklich machen?
Nun, so einfach ist es sicher nicht. Derartige Studien lassen nämlich den Kausalitätseffekt nicht erkennen. Auch wenn man feststellt, dass Einsamkeit und die Zeit vor Bildschirmen gleichzeitig zunehmen, könnte es ja sein, dass die Menschen mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen, weil sie einsam sind. Die Einsamkeit wäre dann der Grund für die Bildschirmnutzung, nicht umgekehrt.
Nun kann man die Kausalitätsrichtung allerdings in Experimenten klären. Dazu muss man nur ein paar zufällig ausgewählte Freiwillige dazu bringen, ihre Zeit vor Bildschirmen über einen kontrollierten Zeitraum zu reduzieren. Wenn sich bei denen dann zeigen würde, dass die Reduktion von Bildschirmzeiten tatsächlich glücklicher macht, dann hätte man die Kausalitätsrichtung geklärt. In dem Fall könnte man sagen, dass Bildschirmnutzung kausal unglücklich macht. Wobei ein Forscher, der in der Schule auftaucht, und Handys einsammelt, für sich genommen bei vielen erste Unglücksgefühle auslösen dürfte.
Derartige Experimente hat es inzwischen mehrfach gegeben. Wir wollen hier nur von zwei Beispielen berichten. In einer Studie mit 286 Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben Julia Brailovskaia und Kolleginnen untersucht, wie sich bei Jugendlichen die Reduktion der täglichen Facebook-Nutzungszeit um 20 Minuten auf deren Wohlergehen auswirkt. 140 Jugendliche reduzierten ihre Nutzungszeit um 20 Minuten tägliche, 146 andere taten das nicht. Wer in welche der beiden Gruppen kam, wurde zufällig ausgewählt. In beiden Gruppen hat man sich dann die Entwicklung verschiedener Indikatoren des Wohlergehens und des Verhaltens angesehen. Die Ergebnisse lesen sich aus Sicht von Facebook wie ein Horrorszenario des eigenen Geschäftsmodells. Die, die ihre Nutzungszeiten reduzierten, berichteten anschließend von gestiegener Lebenszufriedenheit und geringeren depressiven Symptomen. Sportliche Aktivitäten nahmen zu und der Zigarettenkonsum nahm ab. Diese Effekte waren auch drei Monate nach dem Ende der reduzierten Nutzungszeit noch messbar. Das Ergebnis zumindest dieser einen Studie war also: Facebooknutzung macht kausal krank, unzufrieden und faul.
In einer ähnlichen Untersuchung haben Lorna Brown und Daria Kuss einer Gruppe von 61 Jugendlichen eine siebentägige Abstinenz von sozialen Medien auferlegt. Nach den sieben Tagen berichteten die jungen Leute von gesteigertem Wohlbefinden, weniger Angst davor, etwas Wichtiges zu verpassen und einem gesteigerten Gefühl sozialer Verbundenheit.
Es ist schon ein ironischer Schlag ins Gesicht der Werbeversprechen der sozialen Medien, dass nicht deren Nutzung, sondern die Abstinenz von deren Nutzung zu einem Gefühl sozialer Verbundenheit beiträgt. Müsste man langsam von „Anti-Social Media“ sprechen? Vermutlich ja. Zumindest, wenn sie so genutzt werden, wie viele Menschen das tun.
Quellen:
Primack, B. A., Shensa, A., Sidani, J. E., Whaite, E. O., yi Lin, L., Rosen, D., … & Miller, E. (2017). Social media use and perceived social isolation among young adults in the US. American journal of preventive medicine, 53(1), 1-8.
Ostic, D., Qalati, S. A., Barbosa, B., Shah, S. M. M., Galvan Vela, E., Herzallah, A. M., & Liu, F. (2021). Effects of social media use on psychological well-being: a mediated model. Frontiers in Psychology, 12, 678766.
Twenge, J. M., Spitzberg, B. H., & Campbell, W. K. (2019). Less in-person social interaction with peers among US adolescents in the 21st century and links to loneliness. Journal of Social and Personal Relationships, 36(6), 1892-1913.
Brailovskaia, J., Ströse, F., Schillack, H., & Margraf, J. (2020). Less Facebook use–More well-being and a healthier lifestyle? An experimental intervention study. Computers in Human Behavior, 108, 106332.
Brown, L., & Kuss, D. J. (2020). Fear of missing out, mental wellbeing, and social connectedness: A seven-day social media abstinence trial. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(12), 4566.
Heroin und „Gefällt mir“ – Buttons!
Was haben Heroin und Gefällt-mir-Buttons gemeinsam? Klingt nach einer Scherzfrage, ist es aber nicht: Beide machen süchtig! Sucht aber macht unglücklich.
Wir hatten uns oben schon eine Reihe von Studien angesehen, die zu dem Ergebnis kommen, dass die intensive Nutzung sozialer Medien deutliche negative Effekte auf das persönliche Wohlbefinden hat. In einer Studie aus dem Jahr 2017 kamen Holly Shakya und Nicholas Christakis zu dem Befund, dass diejenigen, die überproportional häufig „Gefällt mir“ anklicken, häufiger Links zu anderen Inhalten folgen und/oder häufiger ihren eigenen Status aktualisieren, von gesteigerter psychischer Labilität berichten. Das ständige Anklicken von „Gefällt mir“ – Buttons trägt also eher zum eigenen Unglück als zum eigenen Glück bei. Wobei man auch hier wieder die Kausalität in Frage stellen könnte, allerdings aus einem anderen Grund als oben. Das Anklicken von „Gefällt mir“ – Buttons ist vielleicht nichts anderes als ein Indiz für die übermäßige Nutzung sozialer Medien. Es ist dann diese übermäßige Nutzung, die unglücklich macht und nicht eigentlich das Anklicken der Buttons. Aber lassen Sie uns hier ruhig etwas innehalten und der Frage der Kausalität noch etwas mehr Raum geben. Ist der „Gefällt mir“ – Button vielleicht doch kausal ein Problem?
In seinem Buch „Digitaler Minimalismus“ geht Cal Newport unter anderem der Frage nach, welche Verhaltensweisen uns zu echten Freunden für andere machen. Er führt dazu aus, dass es eben nicht das Anklicken von „Gefällt mir“ – Buttons ist, das uns zu echten Freunden macht. Wenn eine langjährige Freundin ein Kind bekommt und das per Statusaktualisierung bekannt gibt, dann sind echte Freunde die, die ein Geschenk besorgen und hinfahren.
Echte Freunde sind aber nicht die, die einen digital-industriell vorgefertigten Button anklicken, der keinerlei Mühe kostet und der damit auch keinerlei echte Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Zum Anklicken dieses Buttons braucht es keines Freundes, dazu wäre auch ein dressierter Affe in der Lage.
Das Problem der Buttons ist daher, dass sie uns vorgaukeln, wir würden uns durch das Anklicken als echte Freunde erweisen und müssten in der Realität nichts mehr unternehmen. Wie oben schon angesprochen, führt das Austauschen des persönlichen Gesprächs durch digitale Kommunikation nicht zu mehr, sondern zu weniger Lebensglück. Unsere Gehirne sind kommunikative Hochleistungsaggregate, die uns zu einer wirklich sozialen Spezies machen. Diese Aggregate nur noch zum Anklicken zu benutzen, stumpft uns ab. Schlimmer noch: Das kriegen wir natürlich auch zurück. Wenn es uns schlecht geht und niemand mehr kommt, der uns in den Arm nimmt, sondern uns nur noch traurige Emojis auf Bildschirmen erreichen, dann ist das ein Unterschied.
Es ist der Unterschied zwischen Menschsein und Einsamkeit. Es ist sicher nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten, bis die ersten Freundschaftsapps auf Basis künstlicher Intelligenz auf den Markt kommen. Die schicken dann originelle Glückwunschnachrichten rechtzeitig zu allen Geburtstagen, scannen unsere Social Media Accounts nach Posts, auf die wir reagieren müssten und reagieren dann auch darauf mit den passenden Emojis. Ja, das ist einfacher. Aber es ist keine Freundschaft oder Liebe. Unsere derzeitige Prognose ist, dass Amazon einer der ersten Anbieter auf diesem Markt sein wird und dann natürlich auch gleich passende Geschenke verschickt. Es liegt eine mit Füller geschriebene Glückwunschkarte von uns bei. Handschriften können KI’s nämlich auch nachmachen.
Es gibt aber noch einen fundamental anderen Grund dafür, keinerlei „Gefällt mir“ Buttons mehr anzuklicken. Jedenfalls nicht, wenn sich diese an Menschen richten, die wir wirklich mögen. Dazu gehen wir in der Zeitrechnung mal so um die 100.000 Jahre zurück. Sie sind Mitglied eines kleinen Steinzeit-Clans. Für Ihr Überleben ist es zwingend notwendig, dass die anderen Sie mögen und akzeptieren. Allein hätten Sie da draußen keine Chance.
Ihr Gehirn verfügt daher über hochsensible Schaltkreise, die jede Geste der Freundlichkeit oder Feindlichkeit Ihnen gegenüber genau registrieren. Wenn Sie heute jemand beleidigt, dann macht Sie das psychisch deswegen so fertig und/oder so aggressiv, weil Ihr Gehirn glaubt, dass die Beleidigung lebensbedrohlich ist. Die Beleidigung sagt: „Du gehörst nicht dazu, es wäre besser, wenn Du nicht da wärest“. Tatsächlich nicht mehr dazuzugehören, wäre vor 100.000 Jahren ein Todesurteil gewesen.
Vermutlich tragen wir diese Interpretation immer noch genauso in uns. Das hält einer vernünftigen Überprüfung natürlich nicht stand. Stellen Sie sich vor, dass ein wildfremder Mensch an der Fußgängerampel „Du Arschloch“ zu Ihnen sagt. Was bedeutet das für Ihr Leben real? Dass Sie dem Tod geweiht sind? Wohl kaum. Tatsächlich sagt es über Sie und Ihren Wert für den Clan überhaupt nichts. Es sagt lediglich etwas über den Sprecher, der offensichtlich die Regeln des Umgangs nicht beherrscht oder bestenfalls besoffen ist.
Umgekehrt würde uns aber ein „Ich finde Sie großartig!“ von einem Wildfremden sehr freuen, auch wenn es bei genauerer Überprüfung genauso wenig mit uns zu tun hat wie obige Beleidigung. Es sagt unserem Hirn aber, dass wir toll sind und unsere Position im Clan nicht gefährdet ist. Da unsere Gehirne solche Rückmeldungen über unsere Liebenswürdigkeit völlig überzogen abfeiern, ist es wenig verwunderlich, dass wir geradezu süchtig danach sind. Womit wir wieder bei den „Gefällt mir“-Buttons und den kleinen „I like you“-Herzen angekommen sind. Jedes Mal, wenn wir sehen, dass uns jemand ein Herzchen schickt, dann wirft das ein Belohnungsgefühl im Hirn an. Dieses Belohnungsgefühl ist, gemessen an der realen Bedeutung, arg überzogen, es hat etwas Halluzinatorisches. Es ist so überzogen, dass wir dazu neigen, süchtig danach zu werden.
„Gefällt mir“-Buttons und „Likes“ verzerren die Realität in Richtung Suchtbeschleunigung. Sie tun den Menschen, die Sie lieben, einen riesigen Gefallen, wenn Sie die in der Realität durch echte, analoge Verhaltensweisen liken. Früher nannte man das Umarmen oder auch mal Abklatschen. Sie tun ihnen aber einen Bärendienst, wenn Sie denen digitale Suchtbeschleuniger schicken.
Quellen:
Shakya, H. B., & Christakis, N. A. (2017). Association of Facebook use with compromised well-being: A longitudinal study. American Journal of Epidemiology, 185(3), 203-211.
Newport, Cal (2019): Digitaler Minimalismus: Besser Leben mit weniger Technologie. Redline Verlag.
Der einzige Selbstmanagement-Tipp des Tages
Ihr Körper ist der bestmögliche aller „Gefällt mir“-Buttons. Drücken Sie die Menschen, die Sie mögen, damit. Dann fühlen die sich wirklich geliked!
In der nächsten Ausgabe…
In der folgenden Juni-Ausgabe wollen wir uns weiter der Frage widmen, wie wir mit digitalen Medien so umgehen können, dass wir deren nützliche Seiten nutzen, deren Suchteffekte aber umschiffen können. Dass dazu bereits eine einzige Digital-Detox-Wanderung reicht, bleibt allerdings zu bezweifeln. Aber schaden kann es nicht…
Wir freuen uns, wenn Sie auch im Juni wieder dabei sind! Digitale Herzchen schicken wir Ihnen dafür aber dennoch nicht. Sie wissen ja jetzt, warum!
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