
Newsletter – April 2025
24. April 2025Newsletter - Mai 2025

„Nein!“ ist eine wirksame Schutzhülle
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Nein!“: Das sollten wir alle wohl viel öfter sagen. Stattdessen nicken wir, wenn man uns etwas aufhalst, holen für andere die Kastanien aus dem Feuer und kommen nicht zu den Dingen, die für uns persönlich wichtig sind. Dabei gilt die Fähigkeit, an passender Stelle ein deutliches „Nein!“ vom Stapel zu lassen, sogar als unverzichtbare Karrierevoraussetzung. Dazu mehr in unserem Leitartikel „Neinsagen im Job“.
In der Aprilausgabe hatten wir unsere Reise in die Last des Neinsagens begonnen. Wir hatten festgestellt, dass es echte Gründe dafür gibt, dass uns das Neinsagen so schwerfällt.
Wir hatten aber auch gesehen, dass die echten Gründe keine guten Gründe sind, sondern einfach nur Prägungen der Vergangenheit. Der evolutorischen Vergangenheit der Menschheit und der persönlichen Vergangenheit des Kindseins.
„Nein!“ ist aber nur schwer und eben nicht unmöglich. Und mit etwas Übung wird es auch weniger schwer. Also lassen Sie uns gemeinsam dem „Nein!“ weiter auf den Zahn fühlen.
Schön, dass Sie auch im Mai wieder dabei sind!

Ihr Prof. Dr. Stefan Winter

Ihr Dr. Robin Matz
Vorsicht: Hospitalisierung!
Wenn Menschen sehr lange Zeiträume in Krankenhäusern verbringen, dann kann es dazu kommen, dass sie sich an den ganzen Service von morgens bis abends gewöhnen und nicht mehr ohne diesen Service leben wollen. Frühstück, Mittagessen und Abendessen ans Bett. Klingel drücken und schon kommt jemand, um Wünsche zu erfüllen.
Patienten verlieren ihre Eigeninitiative und fügen sich in die Regeln des Krankenhauses. Sie werden emotional und im praktischen Handeln vom Krankenhauspersonal abhängig. Sie verlieren das Interesse an eigenen Aktivitäten oder fallen gar in unreife, kindliche Verhaltensmuster. Das ganze Phänomen trägt den einprägsamen Namen: „Hospitalisierung“.
John Little hat einen schönen Fachaufsatz über die Psychologie des Neinsagens geschrieben. Der Artikel richtet sich eigentlich an Psychotherapeuten und behandelt die Art und Weise, wie diese mit Patienten umgehen sollten.
Wer genauer liest, stellt aber schnell fest, dass der Artikel für uns alle passt, da wir viel zu oft selbst in die Rolle von Therapeuten schlüpfen. So führt John aus, dass das Neinsagen ein notwendiger Akt sein kann, um sich selbst vor Überforderung zu schützen. Nun, das ist richtig, das sagen auch viele andere. Dann sagt John, man sollte anderen nur helfen, wenn die geleistete Hilfe auch wirklich weiterhilft. Hilfe zur Selbsthilfe ist dabei die beste Option. Einem Alkoholiker zu helfen, die nächste Miete zu bezahlen, ist eben keine Hilfe, die hilft, das eigentliche Problem zu lösen. Wer hier einfach nur die Miete bezahlt, könnte stattdessen auch den Vodka bezahlen. Das läuft beides auf dasselbe hinaus, beides stabilisiert lediglich destruktives Verhalten.
Die wichtigste Aussage im Aufsatz von John Little ist aber sicher die hier: Ein Nein kann notwendig sein, um andere in die Selbstverantwortung zu bringen. Mit ständiger Hilfe und Unterstützung überfordern wir uns gegebenenfalls nicht nur selbst, sondern wir machen andere abhängig, wie machen sie handlungsunfähig. Zur Hospitalisierung gehören immer zwei Parteien. Ein Patient, der seine eigene Handlungsfähigkeit und seine Selbstverantwortung verliert. Und ein Hilfegeber, der zu viel Hilfe und Unterstützung anbietet. Dieses Problem wird sogar durch Befunde der Hirnforschung gestützt. In einer Untersuchung konnten Noah Koblinsky und Koautoren zeigen, dass sich in den Gehirnen von Senioren allein durch physische Hausarbeit ein signifikantes Wachstum der weißen und grauen Gehirnmasse zeigte. Eigeninitiative, das Selbermachen, macht im wahrsten Sinne des Wortes schlauer. Der Vollservice in Altenheimen ist für die Gehirne der Senioren die Pest.
Damit kommen wir zu einem weiteren Aspekt einer echten Selbstanalyse des Neinsagens. Wenn Sie betroffen sind: Ist es wirklich so, dass die anderen so viel von Ihnen wollen oder verteilen Sie Ihre Hilfe vielleicht allzu leichtfertig? Wie gesagt: Zur Hospitalisierung gehören immer zwei! Wenn z.B. erwachsene Kinder nicht ausziehen, weil „Hotel Mama“ sich um alles kümmert, dann liegt das Problem eben nicht nur in den Kindern, sondern vor allem auch im Hotel.
Quellen:
Koblinsky, N.D. et al. (2021): Household physical activity is positively associated with gray matter volume in older adults. In: BMC Geriatrics 21:104, 1-10.
Little, J. (2015). Hesitancies in saying ‘no’. Australasian Psychiatry, 23(2), 139-141.

Neinsagen im Job!
Neinsagen zu können, ist eine essenzielle Karrierefähigkeit. So nachzulesen in einem Fachaufsatz von Antentor Hinton und Kollegen. Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Rolle des Neinsagens im Job. Die Aussagen sind aber letztlich auf alle Lebensbereiche übertragbar. Neinsagen zu können wird in dem Artikel also als Fähigkeit bezeichnet und nicht als Unhöflichkeit oder gar als überzogener Egoismus. Wow, das ist mal ein krasser Satz. Neinsagen als Fähigkeit. Die Autoren um Antentor führen weiter aus, dass Menschen, die nicht lernen, nein zu sagen, sogar ihre Gesundheit riskieren. Die Autoren betonen, dass das Jasagen immer in den Grenzen der eigenen persönlichen und professionellen Leistungsgrenzen bleiben muss. Das konsequente Neinsagen ist dabei das zentrale Instrument, um die eigenen Grenzen zu schützen. Dazu gehört im Job, sich genauer anzusehen, was einen weiterbringt und was nicht. Die Autoren führen aus, dass es gerade im Job wichtig ist, als erstes auf sich selbst zu achten. Die Autoren bieten eine kurze Checkliste von Fragen an, mit denen sich die Sinnhaftigkeit von Aktivitäten beurteilen lässt:
Wird die Aktivität meine Karriere fördern und meinen langfristigen Karrierezielen dienen?
Was wird mich die Aktivität an Zeit und Energie kosten und kann ich das leisten?
Was erwartet man von mir und kann ich diesen Erwartungen gerecht werden?
Passend dazu haben Linda Babcock und ihre Koautorinnen untersucht, wie Frauen diese Fragen beantworten und wie Männer das tun. Im Detail haben sich die Autorinnen angesehen, worum Frauen im Job gebeten werden und worum Männer gebeten werden. Und wie die beiden Geschlechter darauf reagieren. Bei beiden Aspekten zeigen sich deutliche Geschlechtsunterschiede. Diese lassen sich in zwei zentralen Ergebnissen zusammenfassen.
Ergebnis Nummer 1 ist, dass Frauen häufiger als Männer gebeten werden, karrierehinderliche Aufgaben zu übernehmen. Demnach sind es eher Frauen, die gebeten werden, Protokolle zu schreiben, Berichte zu verfassen oder in weniger relevanten Arbeitsgruppen mitzumachen.
Ergebnis Nummer 2 ist, dass Frauen häufiger als Männer zusagen, wenn karrierehinderliche Aufgaben an sie herangetragen werden. So wurde z.B. an einer Universität untersucht, wer sich freiwillig bereit erklärt, in Arbeitsgruppen mitzuarbeiten, die der eigenen Karriere nichts nützen. Nur 2,6% aller Männer haben zugesagt, aber 7% aller Frauen.
Nimmt man diese Ergebnisse zusammen, sind Bilder wie das folgende kein Zufall. „Er“ ist ja fein raus!
Ergebnis Nummer 1 ist dabei vermutlich zumindest teilweise auf Ergebnis Nummer 2 zurückzuführen. Stellen Sie sich einfach vor, dass Sie jemanden suchen, der einen karrierehinderlichen Job übernimmt, der aber für Ihre Abteilung wichtig ist. Wenn Sie Ergebnis 2 kennen, wen werden Sie dann als erstes fragen? Vermutlich fragen Sie lieber jemanden, von dem Sie wohl ein „Ja“ bekommen. Gemäß Ergebnis 2 sind das aber eher Frauen.
Fassen wir zusammen: Unabhängig vom Geschlecht gilt also im Job besondere Vorsicht beim Jasagen. Wer Karriere machen will und dabei noch gesund bleiben will, muss die eigene Produktivität schützen und klare Grenzen ziehen. Wie es aussieht, müssen Frauen das aber in besonderem Maße tun. Wenn es, liebe Leserinnen, beim nächsten Teammeeting um die Frage geht, wer denn heute das Protokoll führt, dann prägen Sie sich bitte heute schon mal das folgende Bild als Motto ein:
Quellen:
Hinton Jr, A. O., McReynolds, M. R., Martinez, D., Shuler, H. D., & Termini, C. M. (2020). The power of saying no. EMBO reports, 21(7), e50918.
Babcock, L. et al. (2017). Gender differences in accepting and receiving requests for tasks with low promotability. American Economic Review, 107(3), 714-747
Keine Tipps!
Auch heute verzichten wir nochmals auf die sonst an dieser Stelle zu findenden Selbstmanagement-Tipps. Stattdessen möchten wir Ihnen vorschlagen, die in der letzten Ausgabe begonnene Fragensammlung weiterzubearbeiten. Hier also die abschließenden fünf Fragen zur Selbstreflektion des Neinsagens.
Frage 1: Habe ich schon erlebt, dass Menschen mich weniger mochten oder respektierten, nur weil ich eine Bitte abgelehnt habe? Was für eine Art von Bitte war das? Wie hat sich der Verlust an Sympathie oder Respekt geäußert? Wie sicher bin ich, dass ich mir das nicht nur eingebildet habe, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte?
Frage 2: Wie würde ich reagieren, wenn jemand anderes „Nein“ zu mir sagen würde? In welchen Situationen fände ich das unangemessen? In welchen Situationen wäre das ok?
Frage 3: Wenn ich einfach mal annehme, dass andere Menschen unter der Ablehnung einer Bitte genauso wenig leiden wie ich, wäre es dann nicht einfacher, Hilfsgesuche auch einmal abzulehnen?
Frage 4: Wie klar bin ich mir über meine eigenen Bedürfnisse und Prioritäten?
Frage 5:
Wie unterscheide ich zwischen echten Notfällen und Situationen, in denen ich einfach nur „nett“ sein möchte?
Zusammen mit dem April-Newsletter sollten Sie nach Beantwortung aller Fragen jetzt ein gutes Gespür für Ihr Verhältnis zu Ihrem persönlichen „Nein!“ haben. Haben Sie bereits Ansatzpunkte gefunden, etwas zu ändern? Falls ja: Fangen Sie klein an. Verhaltensänderungen sind erfolgreicher, wenn man sie von klein zu groß aufbaut!
In der nächsten Ausgabe…
Im Juni setzen wir uns ein letztes Mal mit dem „Nein!“-Sagen auseinander. Dort werden wir uns ansehen, warum Ihnen vielleicht schon ein kleines „Ähm, einen Moment bitte…“ aus der Patsche hilft. Wir sehen uns an, welche Fallen für die Zukunft man sich selbst stellt, wenn man zu leicht „Ja!“ sagt. Und wir widmen uns intensiv einem weit verbreiteten Krankheitsbild, dem sogenannten MGS, einem wirklich lästigen psychischem Syndrom. Das Hauptsymptom dieser Krankheit ist das Bestreben, immer allen gefallen zu wollen. Aber natürlich gehen wir auch auf Therapiemöglichkeiten ein. Bei rechtzeitiger Therapie ist das MGS nicht tödlich!
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